Viel besser als der eigentliche Weihnachtsabend ist doch die Vorweihnachtszeit. Alles wird uriger, kuscheliger, gemütlicher, riecht, schmeckt und klingt besser. Und sieht besser aus. Bunte Lichtchen, Glühwein, gebratene Äpfel, Zimtstangen, hach. Jedoch das Beste an den 24 Tagen vor dem Heiligabend ist der Adventskalender. Immer noch bekomme ich von Mama und Papa jedes Jahr einen Kalender zugeschickt, heute Abend ist es soweit. So dachte ich mir, sollen meine Freunde auch von mir einen kleinen Adventskalender bekommen, zwar nur rein virtuell (besser schmecken fällt also weg), aber immerhin.
Türchen 1:
Scheiß-Artikel über Outing, zu dem mich die Redaktion gezwungen hat, weil ich angeblich für sowas zuständig bin
von Max Goldt
In einem DFF-Bericht über das typisch amerikanische Gesellschaftsspiel Outing wurde ein Mann gezeigt, der sagte, daß they, die Prominenten, should admit that they had contacts with men. Über den 0-Ton sprach eine Dame eine Übersetzung, die an Besserwissertum und Sexismus nichts zu wünschen übrigließ: Sie sollen zugeben, daß sie Analverkehr hatten. Es ist schwer vorstellbar, daß ein deutscher Fernsehsender ungestraft einen Beitrag ausstrahlen könnte, in dem contacts with women mit Vaginalverkehr, Cunnilingus, oder eben auch: Analverkehr übersetzt würde, ist letztgenanntes Verfahren doch auch in heterosexuellen Haushalten ein nicht unbekanntes. Zumindest in den Wunschvorstellungen vieler Heterosexueller scheint die rektale Penetration eine wuchtige Rolle zu spielen. Anders wären die in Sexkaufhäusern ausliegenden, gigantischen Stapel von Magazinen und Videos nicht zu erklären, die nichts anderes als heterosexuellen Analverkehr zeigen. Auch kenne ich ein, zwei Damen, die mir in gehobener Stimmung erzählt haben, daß sie das ab und an mal ganz gerne haben, andererseits weiß ich von einigen homosexuellen Herren, die Analverkehr ganz scheußlich finden und sich nur wundern können über die Phantasielosigkeit mancher Leute, die sich einen penetrationsfreien Sex nicht vorstellen können.
Homo- wie Heterosexuelle betreiben, wenn die Hormone Betriebsfest haben, ganz gerne mal Geschlechtsverkehr. Betrüblicherweise wird die Minderheit gesellschaftlich über eine irrtümlich nur ihr zugeordnete Sexualpraktik definiert. Das liegt an einer nicht unbedingt böswilligen Neigung der Menschen, Gruppen zu prototypisieren - Omas haben einen Dutt, Akademiker eine Brille etc. -, sowie an jenen Schwulen, die so ein Gedöns um ihr bißchen Anderssein machen, daß sie sich gar von einem schwulen Lebensgefühl geleitet wähnen - einer Chimäre, die nicht nur durch die Homopresse geistert. Weiß der Kuckuck, was das sein soll. Offenbar handelt es sich dabei um eine dunkle Macht, die Leute zwingt nur weil sie Männer attraktiver finden als Frauen, zeit ihres Lebens "schwule Bücher", "schwule Filme" etc. herzustellen bzw. diese zu konsumieren, um sich eine billige Identität zu erschwindeln. Die Restgesellschaft hat diese Selbstreduzierung schon so verinnerlicht, daß einem homosexuellen Autor gar kein anderes als ein schwules Buch zugetraut.
Ein Beispiel: In der Buchhandlung des Berliner Warenhauses Wertheim guckte ich mir die "Männerbuchecke" an. Zwischen dem Spartacus Gay Guide und einem Coming-Out-Ratgeber namens Schwul, na und? entdeckte ich ein Buch, das mir bekannt vorkam: Die Radiotrinkerin von Max Goldt. Das gleiche wäre es, wenn man die Bücher des bekannterweise heterosexuellen Schriftstellers Robert Gernhardt zwischen еinem Bordellführer und einem Erika-Berger-Buch platzieren würde. Meinem Verlag schickte ich daraufhin eine Postkarte, auf der ich mich zum bedauerlichen Opfer eines unvorstellbaren Sexismus hochstilisierte. Ich hätte es eigentlich auch schmunzelnd hinnehmen können, aber ich hatte wohl gerade Ego-Migräne.
Der Verlag aber hat prompt beim Buchhändler angeklopft, daß das ja wohl nicht sein müsse. Der soll darauf entgegnet haben:
Wieso? Ist der etwa ich schwul? Doch, doch, er ist, aber er hat ca. 197 Eigenschaften, u. a. ist er, zumindest politisch und tendenziell, Vegetarier und blond. (Dieser blöde Satz sagt zwar aus, daß ich politisch blond bin, aber ich lasse ihn trotzdem so stehen.) Genauso triftig wäre es also gewesen, wenn man mein Werklein zwischen 99 Ideen mit Hirse und Blond, na und? gestellt hätte, oder, weil ich gerne Pilze suche, neben die Kleine Kryptogamenflora. Doch auch die hohen Herren in Frankfurt sind Sexisten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sie in ihrer uneleganten Redaktion gesessen und gemaunzt haben herrjemine, Outing, der blödeste US-Import seit Aerobic, leider müssen wir ja jeden Medienquatsch durch die Satiremühle drehen.
Was muß Satire? Satire muß alles, gähn, Lust haben wir nicht, aber (Glühbirne in Denkblase), wie heißt es noch, unser kesses Früchtchen aus Berlin, der ist doch von der anderen Gardefeldpostregimentsnummer oder wie das heißt, hähä, schenkelklopf, sabbertrief, der ist ja wohl dafür zuständig. Doch nein, hohe Herren, rufe ich da, man muß nicht homosexuell sein, um zu verkünden, daß es eine Schande ist, durch die Gegend zu trompeten, mit was für einer Sorte Mensch andere Leute angeblich bevorzugt die Nacht verbringen. Wenn einer lieber im Dunkeln munkelt, sollte er das tun. Heimlich genaschter Honig ist süßer als der, der in Talkshows gelöffelt wird. Und kein Mensch braucht einen schwulen Politiker. Heterosexuelle Politiker sind genauso geeignet, diskriminierende Gesetze abzuschaffen, wenn sie recht bei Groschen sind.
Aus der Tatsache, daß manche nicht bei Groschen sind, zu schließen, daß in homosexuellen Köpfen feinere Gehirne wohnen, zeugt von unsolider Beobachtung. Im Gegenteil: In manchen spukt der Wunsch; ein ganzes Volk zu zwingen, sich Johannes Rau bei der Ausübung von Analverkehr vorzustellen - ein Auswuschs dieser sexbesessenen Epoche, über die kommende Generationen einst ebenso mit dem Kopf schütteln werden, wie die unsrige es über Krinolinenröcke oder Kommunismus tut.
Was benötigt wird, sind tapfere Homosexuelle, die gelassen reagieren, wenn mal jemand ein derbes Witzchen macht, und nette Heteros, die auch freundlich bleiben, wenn man ihnen evtl. versehentlich allzu herzensgut in die Augen schaut. Man sieht's ja nicht immer gleich. Ein Schildchen um dem den Hals soll nämlich niemand tragen.
Und wenn sogar die Lesben eines Tages aufhören, so ruppig und verbiestert zu sein, dann werden wir uns alle an den Händen fassen und munter um den Planeten tanzen und es insgesamt recht wohlig haben, es sei denn, es kommt in den nächsten Jahren wahrscheinlich zu ziemlich vielen Katastrophen nicht-erotischer Struktur.